Wenn man davon ausgeht, dass all das, womit ein Mensch sich umgibt und ausstattet, also Wohnung, Möbel, Kleidung, auch etwas über ihn aussagt, dann kann die Diagnose bei Mariah Carey nur lauten: Die Frau hat on Problem — und zwar kleines.
Dazu genügt schon ein kurzer Gang durch ihre Wohnung in Tribeca/Manhattan, herrlich gelegen mit Blick auf die Art-déco-Ikone Chrysler Building. Das Triplex-Penthouse hat neben den großzügigen, ineinander übergehenden drei Wohnbereichen ein Marilyn-Monroe- und ein Hello-Kitty-Bad, riesige Kleiderschränke für ihre High Heels wie für ihre Dessous, einen Kinosaal, den sie wegen des riesigen Korallen-Seewasser-Aquariums das “Meerjungfrauen-Zimmer” nennt, einen Schönheitssalon, ein schalldichtes Zimmer zum Singen, einen Dampfraum inklusive Bett. um die Stimme bei einem Nickerchen zu schonen, überall Flachbildschirme, und praktisch jede Wand ist tapeziert mit Fotos der Familie und ihres Idols Marilyn Monroe.
Die beherrschenden Farben in Mariahs Welt sind Gold und alle Varianten ihrer Lieblingsfarbe Rosa. Ihr Innenausstatter heßt Mario Buatta. Er ist — wie nicht zu übersehen ist — ein Freund des pompösen Stils (er bevorzugt das Cross-over von 18. und 19. Jahrhundert) und ist in den Vereinigten Staaten ein gefragter Mann, der unter anderem auch das Gästehaus des Weißen Hauses dekorierte. Buatta sagte 2001 zur amerikanischen Architectural Digest (AD), als die Wohnung fertig war: Mariah verströme Glamour und Sex-Appeal — und dies solle auch das Design des Apartments haben. Hat es, nur auf eine etwas zweifelhafte Weise.
Denn Mariah Careys Wohnung hat den Sex-Appeal eines frischen Verkehrsunfalls: In ihr sind Dinge vereint, die einfach nicht zusammengehören — der Anblick tut weh, aber man kann einfach nicht wegschauen. Ähnlich geht es der Offentlichkeit seit knapp zwei Jahrzehnten mit der Besitzerin des Penthouses.
Mariah Carey sendet, seit sie 1990 ihr ten vier ihrer bisher siebzehn Nummer-1-Hits in Amerika veröffentlichte, permanent disparate Botschaften. Bei ihr weiß man nie, ob das, was sie gerade macht, anzieht, singt oder sagt, einfach schrecklich peinlich ist oder doch schrecklich schön. Oder beides.
Eine Frau, die von sich sagt: “Ich bin sehr prüde” und sich doch seit knapp zehn Jahren in immer knappere Hotpants und immer offenherzigere Tops zwängt. Und je älter sie wird, umso weniger Textil braucht Careys Wandel vom netten Mädchen, das harmlose Balladen singt (Time nannte es “Nutrasweet-Soul”), zur ernsthaften Souldiva mit Vorliebe für Hip-Hop passt immer noch nicht so recht zu ihrem Auftreten.
Dabei geht es nicht darum, dass ihre Wohnung geschmacklos eingerichtet ist: Guter Einrichtungsgeschmack war noch nie Voraussetzung für Erfolg im Showgeschäft. Elvis Presley baute sich Grace, Michael Jackson sich Neverland. Doch bei Elvis und Jackson ist der Kitsch in sich stimmig, passt zum Produkt, bei der Mariah Carey des Jahres 2008 nicht mehr. Die Emancipation of Mimi, wie sie ihr letztes, mit drei Grammys ausgezeichnetes Album programmatisch nannte, ist noch längst nicht abgeschlossen.
Mariah Carey wuchs als Tochter einer Opernsängerin mir irischen Wurzeln und eines schwarzen Ingenieurs, dessen Vater wiederum Halbvenezolaner war, in Long Island bei New York auf. Die Eltern ließen sich scheiden, als sie drei war. Man kann ohne Übertreibung sagen, Mariah Carey hatte es in ihrer Jugend nicht leicht — doch sie wusste immer, was sie wollte: Karriere als Sängerin machen.
Sie ging mit 17 nach New York City, hing mit Lenny Kravitz herum, wirkte als Backgroundsängerin von Brenda K. Starr, die 1988 auf einer Party dem Sony-Boss Tommy Mottola Mariahs Demotape in die Hand drückte. Mottola hörte es im Auto, fuhr zurück zur Party, machte Mariah ausfindig, zum Star und 1993 zu seiner Frau. “Es ist wirklich wie bei Cinderella,” sagte Carey kurz nach ihrer Märchenhochzeit.
Damals zog sie in ein weißes Haus im Kolonialstil in Bedford bei New York, “am Arsch der Welt,” wie Mariah Carey den Ort heute nennt. Sie schrieb und produzierte in jedem Jahr der 90er mindestens einen Nummer-1-Hit, wurde zur erfolgreichsten und von der Kritik bestgehassten Sängerin der Welt. Gerade wurde Careys “All I Want For Christmas Is You” von 1994 vom Observer Music Monthly wieder zum schlechtesten Weihnachtslied aller Zeiten bestimmt.
Doch die Kritik ändert nichts daran, dass sie bislang weltweit mehr als 200 Millionen Platter verkaufte, Fan-Seiten sprechen sogar von 230 Millionen — mehr als Madonna, als Whitney Houston, als Céline Dion. Sie wurde Ende der 90er-Jahre zur “Künstlerin des Jahrzehnts” und “Künstlerin des Jahrtausends” gewählt. Im Jahr 2008, wenn sie ihr 15. Studioalbum veröffentlicht, wird sie mit großer Sicherheit wieder einen Nummer-1-Hit in den USA landen, mindestens. Es wäre ihr 18. Das ist einer mehr als Elvis Presley, der King. Nur die Beatles hatten mit 20 mehr, aber das waren Engländer.
Am Anfang ihrer Karriere, in der Mottola-Balladen-Zeit, war sie das nette Mädchen, das klebrig-süße Lieder sang, mit denen sie die Fähigkeiten ihrer unglaublichen Fünf-Oktaven-Srimme demonstrierte. Und obwohl sie nach der Trennung 1997 so ziemlich mit jedem Rapper von Snoop Dogg über P.Diddy bis Missy Elliott gesungen hat und dazu vor der Kamera kreisen ließ, was die Schwerkraft erlaubte, hat sie ihr harmloses Image nie ganz verloren. Trotz all der Mune, sich neu zu erfinden steckt noch immer viel von der alten Varian in der neuen.
Wie diffus das Bild ist, das die Welt von ihr hat, das zeigt sich am Erstaunen, das offenbar jeden Journalisten trifft, der ihr persönlich begegnet. Die Sängerin, die auch alle ihre Songs schreibt und zumindest koproduziert, ist keineswegs die kleine Mimi, die offenbar alle erwarten. Mit 1,76 Metern ist sie überhaupt nicht klein (dank Zehn-Zentimeter-High-Heels Minimum wirkt sie noch stattlicher sie hat eine tiefe, soulige Stimme, sie ist an keinem Tag ihres Lebens so schlank gewesen, wie es die Album-Cover suggerieren — auf ihrem letzten Album erinnerten die Fotos mehr an Beyoncé als an sie. Und sie hat etwas, was ihr keiner zutraut: Humor, ja, sie kann sogar über sich lachen.
Wer zur Hölle sie, die als Diva mit Extrawünschen verschrien ist, zur Prinzessin auf der Erbse nominiert habe, wisse sie auch nicht genau, meint sie. Und das Haus am besagten Arsch der Welt, in dem sie mir Motto wohnte, nenne sie nur “Sing Sing” (wegen des Gefängnisses und weil ihr Mann immer noch einen Song mehr von ihr forderte).
In Mariah Careys Wohnung in Manhattan steht ein weißes Piano, sie hat es für 660,000 Dollar bei Christie's ersteigert. Es ist das Klavier, auf dem Marilyn Monroe in ihrer Jugend spielte. Mariah hat dich ein Marilyn-Monroe-Badezimmer eingerichtet, einer der ersten Filme, die sie sah, war Blondinen bevorzugt (1993), und am Anfang ihrer Karriere Matte sie nichts in ihrem winzigen Zimmer als ihre Marilyn-Poster.
Auf die Frage, was sie an Marilyn Monroe so fasziniere, sagte sie kürzlich Ingrid Sischy, der Chefredakteurin des Nes Yorker Magazins Interview, die sie zu ihrer Lieblingszeit, zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens, durch ihre Wohnung führte: “Sie war so fabelhaft gesellig und hinreißend und lustig und affektiert. Sie hatte eine Traurigkeit, mit der sie leben musste — und darin sehe ich die verbindung zu mir. Ich denke, Marilyn musste da durch, um zu werden, was sie war…” Und Mariah Carey muss es auch.