Popgeschichte Erzählt Von Mariah Carey

River Deep, Mountain High — In Mariah Careys Welt war immer alles gigantisch: Sie hatte die grössten Hits (“Without You”), die unglaublichsten Flimflops (Glitter) und sie erlitt den katastrophalsten Nervenzusammenbruch im Showgeschäft. Mehr als ein Jahr verdunkelte sich ihr Leben, jetzt strahlt sie wieder: Für GQ stellte sie sich vor die Kamera des Fotografen Richard McLaren, wo sie die Geschichte der Popmusik darstellte — Jahrzehnt für Jahrzehnt, Pose für Pose, Gefühl für Gefühl. Kritiker, die sie totgeschrieben haben, werden erkennen: Mariah Carey ist wieder Top of the Pop.

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GQ (DE) My 2003. Text by Lars Jensen. Translation by The Mariah Network. Photography by Richard McLaren.

Frau Carey, schön, mit Ihnen zu sprechen. Ich bin ein großer Fan.
Das höre ich gern. Komplimente tun immer gut.

Ich gebe aber zu: Vielen meiner Freunde ist Ihre Musik zu… gefühlvoll. Ich sage dann immer: „Was soll eigentlich schlecht sein an Gefühlen?”
Natürlich nichts — im Soul geht es doch immer um Gefühle.

Außerdem haben Sie die beste Stimme der Welt.
Sie sind sehr nett zu mir. Wie reagieren Ihre Freunde, wenn Sie meine Platte auflegen?

Sie sagen, ich solle lieber Public Enemy spielen.
Ha! Ich glaube kaum, dass Sie diese Jungs von meiner Musik überzeugen können.

Wenn Sie so heiser klingen wie jetzt…
Ich habe gerade zwei Tage Singpause, ich muss meine Stimme entspannen. Gesund essen, viel schlafen… am besten keine Interviews geben. Sängerin zu sein, ist ein harter Job, den nur sehr disziplinierte Menschen durchstehen. Ich lebe seit meinem 18. Geburtstag beinahe wie eine Leistungssportlerin.

Sie führen also kein Popstarleben, wie man es aus dem Fernsehen kennt: Sex and drugs and Rock 'n' Roll.
Im Gegenteil. Mein Exmann Tommy Mottola hat dafür gesorgt, dass ich mein Leben lang wie eine Maschine funktionierte. Ich habe meine erste Platte mit 18 aufgenommen, den ersten Nummer-eins-Hit mit 20. Dann fast jedes Jahr ein Album oder eine Welttournee. Mir war gar nicht klar, dass es das Wort Nein überhaupt gibt. Monatelang habe ich 20 Stunden am Tag gearbeitet. Es kam vor, dass ich innerhalb von 24 Stunden von Paris nach London nach Madrid flog, um Interviews zu geben oder im Fernsehen aufzutreten. Ich hatte immer 15 Leute um mich, die irgendwas von mir wollten. Glauben Sie mir: Wenn ich eine freie Minute in meinem Leben hatte, schlief ich sofort ein.

Kein Sex? Kein Rock 'n' Roll? Wenigstens ein bisschen Spaß?
Nur so viel, wie mein Mann zuließ.

Jetzt aber heißt es, Sie hätten einen Partykeller; und seit Sie bei der Plattenfirma DefJam unter Vertrag seien, würden Sie regelmäßig alle Rapper des Labels und deren Mädchen einladen. Das sollen die besten HipHop-Partys der Stadt sein.
Davon weiß ich nichts. Ich wohne in einem Apartmenthochhaus. Da gibt es nicht mal einen Keller.

Schade. Ich wollte auch mal vorbeikommen.
Daraus wird leider nichts, diese Partys finden nicht statt. Eine völlig frei erfundene Geschichte.

Noch mehr Gerüchte: Sie haben mit Eminem geknutscht.
Wir waren weit entfernt davon.

Sie tragen meist keine Unterwäsche.
Das muss sich ein Journalist ausgedacht haben.

Also tragen Sie Unterwäsche.
Ja! Natürlich nicht diese großen weißen Slips. Ich trage ganz normale Unterwäsche wie jede andere Frau auch.

Sie haben einen Selbstmordversuch unternommen.
Ich war erschöpft und hatte einen Zusammenbruch, sonst nichts.

Sie hetzten nach der Trennung Detektive auf Mottola, weil er versuchte, Ihre Karriere zu zerstören.
Das sind Dinge, über die ich im Detail nicht sprechen kann. Aber inzwischen ist mein Verhältnis zu Tommy wieder okay.

Er sorgte dafür, dass Ihr Film Glitter und der gleichnamige Soundtrack von der Kritik vernichtet wurden.
Der Film lief genau am 11. September 2001 an. Und dann gab man mir die Schuld für den Flop. Dabei war ich nur eine Darstellerin. Ich habe den Film nicht produziert und auch nicht Regie geführt. Aus diesem Debakel habe ich gelernt. Gerade habe ich in einem kleinen Independent Film mit Mira Sorvino gespielt. Bei der Premiere bekam ich Standing Ovations; und seitdem erhalte ich jede Menge Rollenangebote.

Aber es tat gut, dass Mottola bei Sony Music als Chef gefeuert wurde.
Kein bisschen. Mit boshaften Gedanken lenkt man nur schlechte Energien auf sich selbst. Und: So eine Krise hat auch was Gutes. Ich bin eineinhalb Jahre durch die Hölle gegangen; und jetzt habe ich endlich meine Freiheit, meinen Schlaf, ich kann essen, wann immer ich will.

Schlafen und essen — würden Sie das als Glück bezeichnen?
Mich macht das glücklich.

Kann ein Mensch, der als erfolgreichster weiblicher Popstar der Geschichte gilt, überhaupt glücklich sein?
Oh, das kann ich sehr wohl. Ich habe allerdings 15 Jahre gebraucht, um den Weg zum Glück zu finden.

Michael Jackson hat diesen Weg nicht gefunden.
Eine traurige Geschichte. Es bekümmert mich, was mit Michael passiert. Und scheinbar hilft ihm niemand. Das ist furchtbar.

Was gehört außer Spaß, Arbeit, essen und schlafen noch zum Glück?
Das Gefühl, eigene Entscheidungen treffen zu können.

Und ein netter Mann…
…wäre auch sehr schön.