Sie kommt zu spät zum Interview. Man kennt das. Das hat sich nicht geändert. Miss C. war müde. In einem Bademantel und unter kaltem Flurlicht stakst sie schlaftrunken in die Garderobe der Bavaria Filmstudios. Sie ist größer als angenommen und höflich. Knallenge Jeans, ein schwarzes Pullöverchen mit sehr tiefem Dekolleté. Von der Diva hat sie die tiefraue Stimme, die dralle Silhouette. Dahinter blitzt das Vorstadtmädchen durch, trotzig, kampferprobt, übermütig.
Miss Carey, können Sie mir die drei Adjektive nennen, die Ihren Charakter am besten beschreiben?
An erster Stelle steht mein Sinn für Humor, zweitens bin ich loyal und drittens spirituell.
Was ist für Sie Humor?
Humor ist für mich eine Überlebensform. Ich habe das früh gelernt. In der Schule war ich immer das Kind, das in Schwierigkeiten steckte. Bis ich schließlich anfing, mich ins Witzereißen zu flüchten. Das rettete mich aus meiner Unsicherheit. Ich erkannte, das Leben ist einfach zu kurz, um es todernst zu nehmen. Ich bin ein ewiges Kind. Lachen ist eine der größten Gaben.
Gelingt es Ihnen, ein so kurzes Dasein erfüllt zu leben?
Da ich ein sehr spiritueller Mensch bin, glaube ich, dass Gott einen ganz speziellen Plan für jeden hat und einem niemals so viel in den Weg stellt, dass man es nicht mehr bewältigen kann. Ich habe akzeptiert, dass es keine Zufälle gibt. Eigentlich ist es ganz einfach: Ich habe schwere Zeiten hinter mir, aber ohne sie hätte ich nie den Drang verspürt, ein neues Album aufzunehmen, von dem ich denke, dass es das beste ist, das ich je gemacht habe. Früher war es genauso: Ich hätte nie eine Platte mit dem Titel Butterfly veröffentlicht, wenn ich mich nicht vorher in einer Art Gefangenschaft befunden hätte (Anm. d. Red.: Anspielung auf ihre Ehe mit Sony-Boss Tommy Mottola).
Fühlen Sie sich bedroht von der Gefahr eines möglichen Krieges, den die USA gegen den Irak führen wollen?
Verstehen Sie bitte, dass ich mich in politischen Dingen nicht sehr gut auskenne. Ich persönlich denke, dass ein Krieg nie gerechtfertigt ist. Ich fühle, dass es um Geld geht. Und ich bin mir sicher, es geht um Konflikte, die mit Bedacht gelöst werden könnten. Wir leben im Jahr 2002, und die Menschen bedrohen sich immer noch mit Bomben.
Was ist dran an dem Gerücht, dass Sie mit dem Rapstar Eminem liiert waren?
Um es einmal klarzustellen: Ich war mit ihm befreundet, ich habe mit ihm gesprochen, aber ich hatte nie Sex mit ihm.
Er hat kürzlich verbreitet, dass Sie eine komplett durchgeknallte Person seien ...
Das macht er mit vielen. Für mich ist er eine Comicfigur.
Empfinden Sie Genugtuung, wenn Sie heute noch für einen Plattenvertrag mehr als 20 Millionen Dollar einstreichen?
Ich bin sehr arm aufgewachsen. Ich bin nicht immer die reiche Prinzessin gewesen. Ich hatte ein hartes Leben. Ich würde sagen, ich habe schwer gearbeitet, um den Punkt zu erreichen, an dem ich jetzt bin. Aber am Ende des Tages zählt nicht der Prominenten-Mist, nicht die verkauften Platten und auch nicht, was irgendwelche Idioten über dich in die Welt setzen, um ihre Auflage zu erhöhen. Am Ende des Tages zählt, wen du an deiner Seite hast. Richtig klar wurde mir das erst im Juli, als mein Vater an Krebs starb. Es ist entsetzlich, das Leben von jemandem schwinden zu sehen, der Teil deines Lebens ist.
Haben Sie sich eigentlich in den letzten zwei Jahren verändert?
Oh ja. Schließlich behauptete die Welt permanent, ich hätte einen Nervenzusammenbruch gehabt, ich hätte versucht, Selbstmord zu begehen. Das Problem ist nur, dass ich so davon überzeugt bin, dass Gott dich holt, wenn es Zeit wird zu gehen. An diesem Zeitplan würde ich niemals etwas ändern. Aber zurück zur Frage: Früher haben mich alle behandelt, als wäre ich eine perfekte Maschine, die keinen Schlaf braucht, die nichts essen muss. Ich wollte das lange durchhalten. Bis ich so erschöpft war und merkte: Auch ich bin ein Mensch. Gebt mir etwas zu essen. Lasst mich in Ruhe.