“Ich Habe Die Absolute Kontrolle.”

Die erfolgreichste Sängerin der Welt verrät ihr persönliches Power-Programm: sechs Schritte, die auch Sie weiterbringen.

Cosmopolitan Magazine
Magazine Scans
Cosmopolitan Magazine by Daniela Federici
Photos by Daniela Federici
Cosmopolitan (DE) February 2000. Text by Nicole von Bredow.

Ein schönes Lachen hat sie. Es ist echt, tief und warm — und ein bisschen dreckig. “Ich brauche jetzt einen großen Teller Pasta!”, sagt sie zu irgendwem im Hintergrund, bevor sie wieder in ihr Handy spricht: “Mann, ich muss hier um mein Essen betteln.” Wahrscheinlich schüttelt der Mensch, der in New York gerade die Pasta-Bestellung aufgenommen hat, bloß den Kopf.

Denn eines ist Mariah Carey, 29, sicher nicht: jemand, der um irgendwas bettelt. Seit sie sich vor zwei Jahren von dem mächtigen Sony-Boss Tommy Mottola getrennt hat, ist “Kontrolle” ihr Lieblingswort. Konzentriert hat die erfolgreichste Plattenverkäuferin der neunziger lahre ihrer Karriere den nächsten Schub gegeben. Ihr aktuelles Album Rainbow ist nicht nur klasse (besonders die bisher nicht ausgekoppelten HipHoppies), es läuft auch sensationell. Als nächstes packt sie die Schauspielerei an, ist dieses Jahr neben Chris O'Donnell in The Bachelor als überspannte Operndiva zu sehen und dreht gerade ihre erste Hauptrolle ab. Ihre persönliche Krise hat sie als Chance genutzt — wie das geht, soll sie jetzt in einem 30-Minuten-Crashkurs erzählen. Wie man sich auf seine eigenen Kräfte besinnt und das kriegt, was man will. Zum Beispiel, als eher seichte Chart-Stürmerin HipHop-Größen wie Snoop Doggy Dog oder Missy Elliot ins Studio zu holen. “Erstens sind das Freunde von Freunden von mir. Zweitens respektieren wir uns sehr. Ich habe 99 Prozent der Songs, die ich singe, selbst geschrieben, meine erste Platte ‘Vision of Love’ hat Snoop immer gehört, als er im Knast saß. Die meisten denken, ich hätte eine Art Quantensprung zum Rap gemacht. Der einzige Unterschied aber ist, dass ich jetzt die Musik machen kann, die ich will. Ich habe absolute Kontrolle über das, was ich tue. Kein Mann kann mir was befehlen."

Damit sind wir beim Thema. Mit 18 Jahren trifft Mariah ihren Mentor Tommy Mottola, den Boss von Sony Records zufällig auf einer Party. Sie steckt ihm ein Demo-Band zu. Er ist begeistert, sucht sie eine Woche lang, um ihr dann die Welt zu Füßen zu legen. Mottola ist 20 Jahre älter als sie. Könnte ihr Vater sein. War er gewissermaßen auch… Denn mit ihm hat Mariah ihren Daddy, der ihre Mutter und die drei Geschwister verlassen hat, als sie gerade mal drei Jahre alt war, neu besetzt. Mottola verschafft ihr Geld, Ruhm, Anerkennung und ein protziges Schloss außerhalb von New York. Der Aschenputtel-Mythos. An der Legende strickte er eifrig mit — doch so mies, wie oft beschrieben, war Mariahs Background nicht. Ihre Mutter Patricia, irischer Abstammung, war Opernsängerin und baute später ein multikulturelles “Freedom Center” in Long Island auf. Der Vater, ein halb schwarzer, halb hispanischer Flugzeug-ingenieur, ist immerhin in einem Porsche abgehauen. Als Mottola auftaucht, hat sie schon einen Vertrag mit der Warner-Plattenfirma — doch ihr späterer Mann, der Mariahs Stimmvo-lumen (fünf Oktaven) und ihre professionelle Power sofort richtig einschätzt, bietet einfach 50,000 Dollar mehr. You get what you pay for. Erst als sie bei der Arbeit mit einer Schauspiellehrerin beginnt, ihr Leben zu hinterfragen, spürt Mariah, wie sehr Motto-la ihr Leben diktiert. Die Fassade bröckelt und das Gold-kehlchen im Käfig breitet die Schwingen aus.

Erster Schritt: Eigenverantwortung übernehmen

“Ich bin meiner Lehrerin Sheila Gray unendlich dankbar. Ohne sie hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Beim Actors-Training hat sie viele übungen mit mir gemacht, bei denen man in sein Unterbewusstsein ab-taucht. Mir ist plötzlich klar geworden, wie unglücklich ich bin. Ich habe mich selbst belogen, mich verleugnet. Ich habe mit einem Mal ganz deutlich gesehen, dass ich völlig fremdbestimmt bin." Eine Situation, die sie nicht mehr hinnehmen wollte. Dass Mariah ihrem Ex nicht die Schuld an ihrer Unselbstständigkeit in die Schuhe schiebt, bringt sie psychologisch in eine handlungsfähige Position — statt sich in die Opferrolle zu ducken, kann sie ihr Leben ab sofort selbst in die Hand nehmen. Ihre Zurückhaltung in Sachen Schuldzuweisung hat aber auch rechtliche Gründe: “Wir arbeiten noch zusammen, sind businessmäßig aneinander gebunden.”

Zweiter Schritt: Man muss die Situation von sich aus ändern wollen

“Klar, meine Freunde haben viel früher gemerkt, dass nicht ich mein Leben lenke. Insbesondere Josephine, mit der ich schon in New York zusammengelebt habe, bevor ich das große Geld gemacht habe.” Aber: “Wenn man sich in so einer Situation befindet, kann nur man selbst sich helfen. Da können die anderen einem noch so gut zureden, man will es nicht hören. Das finde ich absolut okay. Nur man selbst kann sich entscheiden, sein Leben zu ändern." Und wenn es soweit ist, entwickelt sich eine Eigendynamik, die man mit einem Trick noch verstärken kann:

Dritter Schritt: Positive Vorbilder suchen

Starke Frauen haben Mariah Mut gemacht. “Siehe Tina Turner. Die ist mit ihrem Exmann Ike wirklich durch die Hölle gegangen. Hatte noch vier Kinder zu versorgen. Aber sie ist gegangen. Und sie hat es geschafft, wieder ganz nach oben zu kommen. Ohne ihn! Ich finde diese Frau toll. Bei all den Härten, die sie erlebt hat, ist sie ein ansteckend optimis. tischer und liebenswürdiger Mensch.”

Vierter Schritt: Sich selbst Zeit lassen

Nachdem Mariah klar geworden ist, dass sie ihr Leben ändern will, hat sie sich zurückgezogen. Ich habe viel nachge. dacht, nur wenige Menschen an mich rangelassen. Eine große Hilfe war meine Mutter, die in dieser Zeit immer für mich da war.” Nebenprodukt des Rückzuges war Mariahs erstes “unabhängiges,” wirklich sehr cooles Album, das sie passenderweise Butterfly genannt hat — und das ihr in Kritikerkreisen sehr viel Respekt eingebracht hat.

StepFünfter Schritt: Frauen-Netzwerke aufbauen

“Früher habe ich mich bei meinen Entscheidungen auf den Rat älterer Herren verlassen. Heute läuft das anders. Ich habe mir ein Team aus starken, schönen Frauen aufgebaut, mit denen Dinge, die anstehen, ausdiskutiert werden. Es gibt viele Frauen, die Schwierigkeiten damit haben, eng mit anderen Frauen zusammenzuarbeiten. Ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Mehr noch: Es gibt Dinge, die kann man nur mit einer Frau teilen, weil sie einem emotional näher ist.” Was nicht als Ablehnung gegen Männer zu verstehen ist. Immerhin ist Mariah seit über einem Jahr mit Luis Miguel, dem mexikanischen Elvis, liiert. Doch Beziehungen handhabt sie jetzt etwas anders: “Ich befinde mich auf dem Mittelweg zwischen Sicherheit und Freiheit — und da komme ich gut voran.”

Sechster Schritt: Mut zur Ehrlichkeit

Zu Beginn ihrer Karriere hat sich Mariah Carey hinter einem braven Flanellhemden-Look versteckt. Seit ihrer Unabhängigkeitserklärung werden die Kleider enger und kürzer. Was ihr den Titel ei ner der schlechtest angezogenen Frauen Amerikas eingebracht hat. “Die meckern doch sowieso. Früher hat man mir die teenygerechte Kleinmädchennummer untergeschoben, jetzt bin ich angeblich nuttig. Na und? Ich habe Lust darauf. Neulich habe ich ein altes Kinderfoto wiedergefunden. Da liege ich, acht Jahre alt, im knappen Bikini am Pool. Das ist halt ein Teil meiner Persön-lichkeit. Warum soll ich den verleugnen? Im nächsten Jahr stehe ich vielleicht auf hochgeschlossen. Das Wichtigste ist doch, dass ich ehrlich bin, keine Maske aufsetze.” Schon gar nicht mehr die vom Goldkehlchen, das zwar wunderschön singen, aber leider nicht fliegen kann.

Da wird sie schwach
Mariah Careys Lieblingsliste

Designer: Chloé, Prada, Gucci, Dolce & Gabbana.
Lieblingsessen: Linguini mit weisser Muschelsauce.
Schönheitsprodukt: Neutrogena.
Sport: Schwimmen.
Tier: Schmetterling.
Auto: Alter Mercedes.
Haustier: Jack, ihr Jack-Russell-Terrier.
Film: Die Farbe Lila.
Urlaubsort: Capri.
Schauspieler: Gary Oldman.
Schauspielerin: Dianne Wiest.
Mode-Erfindung: Jeans mit abgeschnittenem Bund.
Getränk: Rotwein.