Mariah Carey

Einmal Aschenputtel und zurück: Die Pop-Cinderella will weg von ihrem braven Image und mal so richtig cool sein.

Amica (DE) November 1999. Text by Kirsten Rick.

Knallharte Fakten vorweg: Mariah Carey hat über 115 Millionen Alben verkauft. Sie hat mehr Nummer-eins-Singles in Amerika — nämlich 13 — als jeder andere Künstler in diesem Jahrzehnt gehabt. Trotz Whitney, Janet, Madonna oder Céline… sie ist der erfolgreichste weibliche Popstar der neunziger Jahre.

Zielstrebig, könnte man meinen. Die Frau weiß, wohin sie will. Meistens jedenfalls. Es sei denn, sie sitzt gerade im Auto. Wie damals, mit 16, als sie von Long Island — dort hat sie gewohnt — nach Manhattan fahren mußte, um Demo-Tapes im Hinterzimmer eines Baumarktes aufzunehmen. “Ich habe in der Schule immer gebettelt, daß mich jemand begleitet, denn ich hatte Angst, alleine zu fahren. Weil ich mich immer verfahren habe. Ich bin nicht unbedingt eine schlechte Autofahrerin, ich habe nur keinen Orientierungssinn. Und ich werde auf dem Highway sehr nervös. Man weiß ja nie, wo man rauskommt. Ich habe beim Fahren immer geraucht, Eistee getrunken, Lippenstift aufgetragen, am Radio gedreht und dabei irgendwie den Überblick verloren. Noch heute habe ich Träume, in denen ich mich verfahre.”

Da liegt sie nun, in knappest abgeschnittenen Jeans, verwirrend grobmaschigem Häkeltop, hübsch hingefläzt am Pool eines Luxushotels auf Capri, nippt an einen Glas Weißwein. Absurderweise entschuldigt sie sich — “wenn ich heute aussehe wie der aufgewärmte Tod, liegt es daran, daß ich letzte Nacht nur eine Stunde geschlafen habe” — für ihren frischen Teint. Sie nimmt gerade il neues Album auf, am angenehmsten Ort der Welt, wo die rote Sonne im Meer versinkt, “weil das Klima so gut für meine Stimm ist.” Und plaudert fröhlich drauf los. Je mehr sie erzählt, je mehr man über sie weiß, um so mehr wird klar: Diese Frau ist ein einziger Widerspruch. Da paßt nichts zusammen — der große Busen nicht zu ihrem zierlichen Körper, die entspannte Atmosphäre und das herzliche Lachen nicht zu ihrem Zicken-Image, die schwüle Luft nicht zu harter Studioarbeit, und das, was sie erzählt, schon gar nicht zueinander. Sie mäandert zwischen Profi-Info-Talk und unfaßbaren Enthüllungen, die doch keine sind, weil sie nur angedeutet werden.

“Jemand, der eine Kindheit hatte wie ich, sollte eigentlich in Therapie sein. Alleingelassen, als Teenager berühmt geworden, dann diese intensive Beziehung, diese verrückte öffentliche Trennung. Was ich sagen will: Ich gehöre in Therapie!” Pause. “Statt dessen nehme ich Schauspielunterricht.” So kratzt Mariah in Interviews die Kurve. Packt ihr ganzes Leben in einen knappen Satz, schert kurz dramatisch aus und leitet dann zum nächsten Projekt über. Sie wird die Hauptrolle in einem Film spielen, All That Glitters soll der heißen. Die Dreharbeiten beginnen im Frühjahr, und die Geschichte von einem Mädchen, das Popstar werden will, ist, betont Mariah, “nicht autobiographisch. Glaub es oder nicht.”

Aber mal alles ganz langsam. Schon das Geburtsdatum bleibt unklar: Mariah Carey wurde entweder am 27. März 1969 oder am 22. März 1970 in New York geboren, als Tochter einer irisch-amerikanischen Mutter und eines schwarzen venezolanischen Vaters. Die Eltern ließen sich scheiden, als Mariah drei war, sie blieb bei der Mutter, die als Opernsängerin arbeitete und ständig pleite war. Ihre gemischte Herkunft verwirrte Mariah. “Ich wäre lieber entweder das eine oder das andere gewesen,” sagt sie. Und, schwups, schiebt sie eine Erklärung für den Titel ihres neuen Werkes Rainbow (Columbia) hinterher: &ldquo,Ein Regenbogen vereint verschiedene Farben in sich — wie ich.” Das sagt sie in parodierter Routine-Leier, damit man weiß, daß sie sich das so zurechtgelegt hat. Und grinst. Um dann von Regenbogen zu schwärmen, die sie nun ständig sieht, in Felshöhlen, doppelte, auf Tapeten, überall.

Aber, Moment, was war nun mit der schlimmen Kindheit? Ihre älteren Geschwister seien “in vieles reingeraten, Drogen und so,” erzählt sie, unterbricht sich: “Rein rechtlich darf ich gar nicht darüber sprechen. Als ich klein war, sagte ich immer: Ich tue nie etwas Schlechtes. Ich werde nie rauchen. Na ja, mit zwölf habe ich dann angefangen.” Sie tut alles, um das Image vom braven Mädchen zu ruinieren: “Die Leute denken, ich wäre das Mädchen, das ein ganz durchschnittliches Leben hatte, dann diesen wichtigen Mann geheiratet hat und dann diese große Karriere hatte. Die denken, das wäre alles immer nur Zuckerschlecken für mich gewesen.” Das nervt Mariah gewaltig.

Nach der High-School arbeitete sie als Kellnerin. “Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein gutes Trinkgeld bekommen zu haben,” mault sie. “Allerdings war ich auch eine wirklich miese Kellnerin.”

Mit 18 gelang es ihr, dem Plattenfirmenmogul Tommy Mottola auf einer Party ein Demoband in die Tasche zustecken. Der Aschenbrödel-Mythos kam ins Rollen: Mottola, damals 43, verließ Frau und Kinder und heiratete sein neues Täubchen. Eine halbe Million Dollar soll die Hochzeit gekostet haben, zur Vorbereitung sah sich Mariah Videos von Charles' und Dianas Trauung an. 1997 wurde die Ehe geschieden. Inzwischen war Mariah weltberühmt. Mit ihrer angeblich sieben Oktaven umfassenden Stimme und herzzerreißenden Schnulzen von “I'll Be There” bis “Without You” hat man sie imagemäßig gleich zwischen Whitney Houston und Céline Dion einsortiert. Das extravagante Diven-Image wird detailverliebt gepflegt. In ihrer Villa, heißt es, habe Mariah einen riesigen Raum für ihre Kleider. “Ich habe meine Sachen durchnummeriert, damit ich mich überhaupt noch zurechtfinde,” hat sie mal behauptet. Wie man mit den winzigen Fummelchen, die sie immer trägt, mehr als ein Kämmerchen füllen kann, bleibt allerdings eines der Mysterien von Frau Carey.

Nach der Trennung von Mottola die stilistische Kehrtwende. Mariah verbündet sich mit der HipHop-Szene und nimmt ein wirklich cooles Album auf: Butterfly. Tut so, als sei das nach sieben Jahren Balladengesäusel das Normalste von der Welt. Klimpert mit den großen Augendeckeln: “Wieso nicht? Ich bin in der HipHop-Szene groß geworden, war von Anfang an dabei in den Clubs.” Mittlerweile drängeln sich alle, mit ihr zu arbeiten. Auf Rainbow sind z.B. Jay-Z, Jermaine Dupri und Missy Elliot dabei. Zusätzlich wird es wieder ein paar Balladen alten Stils geben. Eine Doppelrolle spielt sie auch im Clip ihres aktuellen Hits “Hearthreaker”: ein Mädchen, dem der Freund ausgespannt wird — und die, die ihn ausspannt. Es kommt zu einer Schlägerei auf der Damentoilette. Beide hauen mit voller Wucht zu. Egal, wer gewinnt: Es ist und bleibt immer Mariah.