Mariah Carey

Erotisch, naiv oder einfach nur berechnend? Die 28jährige Disco-Diva über die Suche nach dem Glück, über Jet-lag und überhaupt…

Amica (DE) 1998. Text by Max Dax.

Mrs. Carey, zweimal haben Sie das Interview verschoben, aber in Europa sagt man: “Aller guten Dinge sind drei.”
Sorry, aber ich bin um die Welt gereist, war mitgenommen von der Zeitverschiebung, hatte keine Zeit zum Ausruhen; manchmal denkt man, man wird verrückt — ich sag's dir.

Klagt die erfolgreichste weiße Popsängerin der Neunziger etwa?
Ich bin nicht weiß! Ich bin halb schwarz und halb irisch. Und ich beklage mich nicht. Jeder Tag ist bei mir anders, ich wache in anderen Betten…

…andere Betten?
… (lacht) Hotelzimmer! Jeden Tag gucke ich aus meinem President-Suite-Fenster auf eine andere Stadt. Kein Tag gleicht dem anderen.

War das schon immer so?
Ich kann mich an das sogenannte normale Leben nicht erinnern. Immer Konzertreisen.

Und was setzt Ihnen jetzt gerade zu?
(stöhnt) Heute?! Ich bin um acht Uhr in der Früh aufgestanden, und ich habe kein Gefühl für Zeit mehr. Ich kann nachts nicht schlafen, muß aber frühmorgens aufstehen. Liegt wahrscheinlich am Jet-lag. Letzte Woche Australien, gestern New York, und jetzt bin ich in Madrid. Keine Ahnung also, wie spät es ist.

18 Uhr MEZ.
Danke. Meine Assistentin mußte mich an unser Interview erinnern, sonst hätte ich's auf der bequemen Couch verschlafen.

Innerhalb einer Woche auf drei Kontinenten. Wie profitiert die Künstlerin Mariah Carey von diesem Input an Eindrücken?
Ich achte im Moment nicht allzu sehr auf Dinge, die mich inspirieren könnten. Ich bin hier als Geschäftsfrau, da ist kreativer Input nicht allzu wichtig.

Reisen macht in der Regel einsam. Fühlen Sie sich alleine, wenn Sie unterwegs sind?
Manchmal. Aber da ich nie alleine reise, kann man sich nicht wirklich einsam fühlen.

Ihr Leben besteht also nur aus Arbeit, nicht aus Spaß.
Moment mal! Natürlich habe ich Spaß. Zur Zeit begleitet mich eine Freundin aus Schweden, die ich kennenlernte, bevor ich so berühmt wurde. Ihr vertraue ich, und wenn ich mal in Europa bin, zahle ich ihr Flug und Hotel, damit wir uns sehen.

Warum vertrauen Sie ihr?
Als wir Mädchen zu fünft in New York in einer kleinen Wohnung lebten, mit Matratze auf dem Fußboden, da war sie es, die mir die Kellner-Jobs besorgte. Und sie hat die Pressekonferenzen miterlebt, auf denen Hunderte von Journalisten und TV-Teams mit mir sprechen wollen. Wir können beide darüber lachen — so was verbindet.

Das klingt, als wollten Sie Ihre brotlose Zeit romantisieren.
Das war schon wild, in der kleinen Wohnung, nur mit einem Badezimmer, und jeden Morgen ging das gleiche Drama los, wer als erste ins Bad konnte zum Zähneputzen und Duschen…

Das geht vielen so.
Als ich davon träumte, Sängerin zu werden, hatte ich kaum Geld. Mit 18 war ich Background-Sängerin; immer wenn Zeit war, arbeitete ich an eigenen Songs, um sie eines Tages jemandem vorzuspielen. Wir wissen alle, ich hatte Glück, aber die Zeit, von der ich rede, liegt noch davor; in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsen zu sein, kein Geld zu haben — all das hat mich zu einer harten Person gemacht, die genau weiß, was sie will, und sich nichts wegnehmen läßt.

Sie haben sich die Freiheit wegnehmen lassen. Es heißt, Ihr Ex-Mann Tommy Mottola hätte Sie behütet wie eine Singdrossel.
…da war ich nicht mehr ich selbst, da habe ich existiert und nicht gelebt.

Aber Sie fühlen sich doch hingezogen zu Leuten, die es früh schaffen, sich durchzusetzen.
Ich wurde wie eine Erwachsene behandelt, seit ich vier war. Und wenn ich Leute treffe, die viel erreicht haben, während sie noch jung sind, fühle ich mich mit ihnen verbunden. Vielleicht können nur solche Leute mich verstehen.

Oder ist es einfach cooler, mit jungen und schönen Menschen zusammenzuarbeiten?
Alle meine Freunde sind aufs College gegangen, während ich auf meiner Matratze hockte, um mit meinen Demo-Tapes weiterzukommen. Studenten kapieren das nicht. Sie sagen dann, meine Karriere sei Zufall. Menschen, die immer auf sich alleine gestellt waren, wissen dagegen, wovon es abhängt, wenn man nur noch sich selbst vertraut.

Dann müßten Sie nun Ihre Sturm-und-Drang-Zeit nachholen, die Zeit, als Ihre Freizeit von Ihrem Mann für Sie eingeteilt wurde…
Ich bin doch keine alte Frau! Ich bin noch ein Twen; daß ich in einer kurzen Phase meines Lebens echt viel gearbeitet habe, ist doch nicht verwerflich. Seit mein erstes Album erschien, fühlte ich mich für das Wohlergehen vieler Leute verantwortlich, emotional wie finanziell. Als Kind war ich genau-so, nur daß ich kein Geld hatte.

Was für eine Philosophie haben Sie daraus für sich gezogen?
Alles, wo du dich durch-kämpfst, macht dich noch stärker.

Wollen Sie wieder heiraten?
Ich würde wieder heiraten, wenn ich einer Person begegnen würde, der ich vollkommen vertraue. Die ich unsterblich lieben würde. Und wenn klar wäre, daß wir Kinder bekommen wollen. Ohne Kinder — keine Heirat.

Aber lassen sich Kinder und Ihre Karriere überhaupt verbinden?
Man weiß nie.

Viele Menschen wissen mit 28 noch nicht so sicher wie Sie, ob sie überhaupt mal heiraten.
Echt?

Ja.
Heiraten ist aber das Natürlichste von der Welt. Auch wenn es nicht immer die richtige Entscheidung ist.

Sie waren verheiratet und haben sich scheiden lassen.
Ja. — Und ich bin immer noch dabei, diese Erfahrung zu verarbeiten. Ich versuche immer noch, mich selbst, als Person, zu heilen — von so einigen Dingen. Ich glaube, ich war einfach noch zu jung zum Heiraten. Aber ich bin jetzt glücklich, und ich werfe niemandem etwas vor außer mir selbst.

Im alttestamentarischen Sinne, daß jeder für sich selbst verantwortlich ist, die Schuld der Welt auf seinen Schultern zu tragen?
Exakt. So sieht's aus (seufzt).

Räumen Sie Ihr Leben auf?
Nein, ich würd' sagen: Heute tue ich genau das, was ich immer getan habe, nur daß ich mich auf die Dinge, die mir Spaß machen, mehr konzentrieren kann — und ich weiß, daß alle Entscheidungen, die ich heute treffe, meine sind. Und wenn mich jemand kritisiert für falsche Entscheidungen, wird die richtige Person kritisiert.

Wie kommen Sie bei all dem noch zur künstlerischen Arbeit?
Ich habe doch das ganze letzte Jahr geschrieben. Über all das, was um mich herum war. Ich bin dann ganz anders als jetzt…

Flüchten Sie dann vorm Geschäft, dem normalen Leben?
Ich gehe zum Strand, ich sitze irgendwo, egal. Hauptsache, ich bin allein.

Aber alleine sein, das können Sie schon? Über Sie wurde geschrieben, daß Sie ein Vogel in einem goldenen Käfig wären.
Wissen Sie, wenn ich das jetzt bestätigen würde, dann würden alle Leute sich zerreißen und sagen: Was jammerst du? Schau doch, was du erreicht hast, du undankbares Stück!

Also?
Das Glücksgefühl muß von innen kommen. Auch in einem Palast kann man sich schrecklich fühlen, und man kann als Obdachloser einen Menschen haben, den man liebt und der einen auch liebt — und glücklich sein!

Amen. Was suchen Sie, was wollen Sie wirklich?
Glück. Das suche ich. Ich war immer dankbar dafür, was ich in meinem Leben erreicht habe. Aber ich habe mich schuldig dafür gefühlt, daß ich nicht glücklich war. Weil ich dachte, man kann nicht gleichzeitig erfolgreich und glücklich sein.